21. Juni 2022

In den letzten Wochen hatte ich vier verschiedene Redenscripte auf dem Pult, respektive auf dem Bildschirm. Ich habe mir seit langem angewöhnt, im Script auch typografisch kleingesetzte «Regieanweisungen» einzufügen. Zum Beispiel nach einer rhetorischen Frage: «längere Pause mit interessiertem Blick ins Publikum».

In dieser Zeit der Redenmanuskripte und anderer «dringender» Texttermine hatten wir Besuch aus Oregon. Das gab einen interessanten Spagat. Erzwungene Pausen – stark beachtete Pausen...
 

Meditative Stille bei der Ermitage in Arlesheim

Einer der Teiche in der Ermitage bei Arlesheim. Hier könnte Monet gesessen haben, um zu skizzieren. © HWR

 

In gesetztem Alter fange ich an zu lernen, was Pausen bedeuten können. Selbst die kleinsten, die kürzesten: und wie wichtig sie sind. Sich ins Gras zu legen, einen Roman möglichst ruhig zu lesen – auch wenn es gerade einer ist, der sich nicht zu lesen lohnt. Denn immer wieder greife ich zu Büchern von Autoren, von denen ich eine hohe Meinung habe, die nach dem zweiten oder dritten Bestseller jedoch massiv abbauen – weil sie offenbar pausenlos schreiben müssen.

Erfolg kommt aber – ich erlebe es gerade intensiv, vielfach aus den Pausen. Und wenn während einer Pause im Gras ein Schmetterling das Gefühl hat, hier sei ein ruhiges Plätzchen und dann auf meiner Haut herumtippelt – und ich das ruhig aushalte – dann ist das eine Bestätigung. Ja, ich kann immer noch Stille genießen.

 

Stille halten bei einem Schmetterling auf der Haut

Keine Ahnung, welche Gattung mich da besucht und gekitzelt hat. Aber ein gutes Gefühl: ich kann noch Stille aushalten © HWR

 

Mit unseren Besuchern machten wir zudem einen Abstecher ins Beyeler-Museum. Piet Mondrian gehörte in meiner Jugend zu den Lieblingsmalern. Die Op-Art der frühen Siebzigerjahre hatte auch Mondrian wieder aufleben lassen.

In einer hervorragend kuratierten Ausstellung in Riehen lernte ich den Maler ganz neu kennen. Mit Blick auf seine frühe Schaffensperiode und in der Entwicklung seiner Malweise kommt er mir heute noch bedeutender vor.

 

Piet Mondrian und stille Repetitionen

Den Bauernhof bei Duivendrecht malte Mondrian mehrere Male, in fast gleichbleibender Komposition © HWR

 

Wenn jemand immer wieder die gleiche Ansicht mit feinsten Nuancen komponiert, sich zur selben Zeit mit der Reduktion von Farbe, Flächen und Linien auseinandersetzt, dann muss sich wohl das reine Malhandwerk wie eine stille Meditation anfühlen.

Nahezu besessene Kreativität und dann Pausen und stille Momente – das wäre die Kombination, die einen idealen Rhythmus ergäbe...

 

Abendstille bei der Ruine Dorneck

Spätabendlicht bei der Burgruine Dorneck. Eine Stimmung von fast feierlicher Ruhe © HWR

 

Der letzte Abstecher mit unseren Gästen ging nach Dornach und zur Burgruine Dorneck. Danach zu einem still ausklingenden Abend wieder zurück nach Hause. Aber von wegen still: eine Amsel gestaltete ein Abendsolo voller Variantenreichtum. In einem Konzertsaal, interpretiert durch Musiker, hätte man dafür viel Geld bezahlt. Und trotzdem lag über allem eine Stille und Ruhe, die jegliche Zeit vergessen ließ.

Dann kann man sich nur noch schlafen legen. Apropos Schlaf: heute, am 21.Juni wird in Deutschland der «Tag des Schlafes» geehrt, oder gefeiert. Das darf nur heißen, hier jetzt Schluss zu machen. Mit der Erkenntnis, dass die hohe Schule der Pausen – inklusive intensivem Erleben der Stille – morgen unbedingt vertieft werden muss.
 

Einsame stille Stunden in einem Waldstück am Jura

Und als Nachtrag: am nächsten Morgen begann der Tag mit einem kurzen, aber ruhigen Waldspaziergang © HWR