21. Dezember 2021
Man kommt derzeit nicht um schriftliche Informationen herum: wöchentlich, oder sogar stündlich gelten neue Vorschriften im Umgang mit Covid-Viren aller Art.
Die Wissenschaft, bedacht auf vorsichtige Annahmen, hüllt sich in schwurblige Formulierungen wie «Es besteht auch keine Notwendigkeit, zu behaupten, dass es genau einen eindeutigen oder einzigen Ursprung der Viren gibt.»
Wieviel ist unser Wissen wert? Und seit wann gibt es Missverständnisse? Belegbar wäre es für die jeweilige Nachwelt wohl erst von dem Moment an, ab dem es schriftliche Überlieferungen gibt – die von uns auch richtig verstanden werden. Doch selbst im Wissensgebiet der Schriftforschung haben die Spezialisten ihre Liebe Mühe mit klaren Aussagen.
Tontafeln, gefunden bei Tartaria in Rumänien. Sie gelten als Beweis einer "Donauschrift". Demnach hätten lange vor den Mesopotamiern und Ägyptern europäische Vorfahren die Schrift erfunden. Quelle: De Agostini/Getty Images
1961 wurden in Rumänien Tontafeln mit Zeichen entdeckt. Ihr Alter schätzten Wissenschaftler auf ca. 7300 Jahre. Andere Wissenschaftler zweifelten diese Zeichen der prähistorischen Vinča-Kultur mittlerweile als Fälschung an.
Bei einer noch älteren Scherbe mit unbekannten Glyphen hat der englische Forscher Nigel Strudwick zum ersten Mal eine Art «alfabetische Struktur» erkennen können. Das Alter der Zeichen: ca 5500 Jahre!
Interessant ist dabei immer – egal in welcher Wissenschaft – wie wichtig waren in der jeweiligen Zeit schriftliche Aufzeichnungen und wie wichtig waren mündliche Überlieferungen und Vereinbarungen. Und umgekehrt, wie weit geht unsere Vorstellungskraft, um das soziale Leben von damals richtig zu einzuordnen?
Ein Relikt, das als älteste Weltkarte bezeichnet wird. Darauf ist von einem «babylonischen Noah» die Rede / © ZDF-Dokfilm von 2005
Eindeutig ist es dort, wo es um Verwaltung, um Güter und Handel geht. Da braucht es «Zahlen und Beschreibungen von Werten». Das gleiche gilt für Vorschriften, Anweisungen und Verhaltensregeln, welche für verschiedenste Personenkreise einheitlich ausgerichtet waren.
Eine Steintafel, die über 3500 Jahre alt ist. Sie wird als «Dictionaire» oder «Lernhilfe» interpretiert, weil hier zum ersten Mal eine Wortliste in «alfabetischer» Reihenfolge zu sehen ist. © Dr. Nigel Strudwick, Ägyptologe, England
Ab einem bestimmten Zeitalter (ob Sumerer, Ägypter oder gar frühe Chinesen?) gab es schriftliche Aufzeichnungen, die nicht nur den Güteraustausch oder die Verwaltung vereinfachten, sondern auch «religiöse Überlieferungen und Mythen» zum Inhalt hatten – also aufgezeichnete Erzählungen und Berichte von Göttern und imaginären Helden.
Die Geschichte unseres biblischen Noah mit seiner Arche zum Beispiel, sie ist aus viel älteren Texten abgeschrieben. Die verheerende Flut kommt bereits im Gilgamesh-Epos in genau gleichem Ablauf vor. Nur wenige Spezialisten rund um den Globus sind in der Lage, die entsprechenden Keilschriften «richtig» zu lesen.
Zum Stichwort «Lesen» fällt den meisten gleich Johannes Gensfleisch / Gutenberg ein. Er sorgte Mitte des 15. Jahrunderts dafür, dass alle, auch die weniger Gebildeten, einfacheren Zugang zu Lesestoff hatten. – Allerdings könnte sich das bereits Tausende Jahre früher ereignet haben. Mit runden Tontafeln, die in «serielle Produktion» gingen.
Spiraltext auf einem Diskos in Ton gebrannt, beidseitig beschriftet. Dieser Fund aus dem Palastarchiv von Phaistos auf Kreta wird auf etwa 1700 v. Chr. datiert. Er könnte mehrfach produziert worden sein und dann als ältestes Druckwerk der Kulturgeschichte gelten. © Wolfgang Beinert, Berlin.
Viel interessanter allerdings ist: was wurde nicht geschrieben. Buddha soll nichts Schriftliches hinterlassen haben. Jesus ebenfalls. Und Sokrates – ca 450 Jahre vor Christus – war gegen das Schriftliche. Seine Schüler, unter anderen Platon, Euklid, Xenophon, sie schrieben seine Worte auf.
Sokrates befasste sich nur «theoretisch» mit dem Schriftlichen. Zum Beispiel auch in seiner Erzählung über den Mythos der Erfindung der Schrift. Die Gabe der Schrift soll nach damaliger Vorstellung durch den ägyptischen Gott Theuth zu den Menschen gekommen sein.
Als Gott Theuth seine «Erfindungen» dem König von Ägypten präsentierte – das war zu jener Zeit Thamus – wollte dieser Herrscher zuerst alles prüfen. Bei der Schrift kam er zum Urteil, dass das Schriftliche zur Vermittlung von Weisheit ungeeignet sei. Wer lese, der bilde sich nur ein, etwas begriffen zu haben, auch wenn er es in Wirklichkeit nicht verstehe. Weisheit müsse im mündlichen Unterricht geschult werden.
Eine von rund 70'000 Scherben aus Mesopotanien. Von Dr. Joachim Marzahn als Teil des Gilgamesh-Epos gelesen (mit einer Anleitung zum Bau einer Arche) © ZDF-Dokfilm von 2005
Ich lasse es so stehen und füge nur an, dass auch im mündlichen Unterricht nicht alles verstanden wird. Aber ein Sokrates-Zitat gehört noch hierher: «Der Kluge lernt aus allem und von jedem, der Normale aus seinen Erfahrungen und der Dumme weiß alles besser».
Was würde Sokrates heute dazu sagen? – «Das habe ich so nie gesagt!?»