18. Januar 2021

Chaos zu ergründen – das wäre einen eigenen Blog wert. Hier komme ich hingegen auf ein ganz konkretes Beispiel zu sprechen: Einer Rede oder einem Buchprojekt eine Struktur zu geben. Das ist, wie wenn eine Biene aus einer Fülle von Blüten nur eine aussuchen dürfte – um dann die logisch nächste, und wiederum die logisch folgende zu bestäuben.

Eine Biene auf Hortensienblüten – Chaos oder System?
Man gebe einer Biene die Aufgabe, die Blüten nach einer Logik systematisch zu befruchten / © Helmut.W.Rodenhausen

Anlass für diesen Blog war ein Erstgespräch-Interview mit einem möglichen Auftraggeber, der seine Lebensgeschichte schreiben wollte. Zusätzlich ein kleiner Auftrag eines langjährigen Kunden, ihm bei einem Fotobuch eine Grobstruktur anzubieten. Und gleichzeitig trage ich mich mit dem Gedanken, eine Kurzgeschichte zu schreiben, welche den Bogen von den Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg in die derzeitigen Zwanzigerjahre des Einundzwanzigsten Jahrhunderts spannen soll.

Aus der Fotoausstellung der Herzog-Sammlung im Kunstmuseum Basel 2020

Eine Ausstellung über Fotografie im Herbst 2020 – Hundert Jahre gleichzeitig im Blick © HWR >
www.fondation-herzog.ch

Am Anfang eines jeden Projektes – so geht es jedenfalls mir – beginnt das Sammeln von Infos, Texten, Bildern, Kontaktadressen, Links usw. das manchmal gar nicht mehr aufhören will. Bald hat man einen Wust von Material, alles recht spannend und aufregend. Nur ist die ursprüngliche Absicht, die Intention, verlorengegangen. Man guckt auf die Daten und Dossiermenge und – man guckt verwirrt. Der Druchblick ist weg, wenn er überhaupt schon da war.


Helmut W. Rodenhausen: Auch ein Ghostwriter guckt manchmal kariert

Ohne Struktur ist alles unscharf, mit der verlorenen Ahnung, was man eigentlich fokussieren wollte © HWR Selfie

Nun beginnt das genauere Sichten und Gewichten. Wenn es nicht um ein wissenschaftliches Thema geht, das in sich schon stark abgegrenzt ist, kann das zeitaufwändig werden. Vor allem für Menschen wie mich, die an fast allem interessiert sind, das irgendwo an den Rändern einen Anknüpfungspunkt bietet.

Oder für Menschen, die Spass am Nonsens haben (der führt zwar selten direkt zum Hauptthema, könnte aber zu einem originellen Seitenkapitel führen). Da ist zum Beispiel die weiter oben beschriebene Fotoausstellung der Sammlung Ruth und Peter Herzog mit dem Bild der Fotografen aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts.

Was passierte um diese Zeit in der Schweiz? Mir kam die Dada-Bewegung wieder in den Sinn. Das bedeutete gleich ein paar Stunden Recherche, die vielleicht für das eigentliche Projekt keine Verwendung finden – vielleicht aber für ein späteres…



Hugo Ball, Collage von http://homespunshow.com/archives/having-the-balls-to-be-hugo-ball/hugoball-2

Eine Fotocollage von Auftritten mit Hugo Ball, einem der Gründer der Dada-Bewegung. Bild: Simon Landin?

Die Dada-Bewegung, die 1916 von Künstlerinnen und Künstlern wie Hugo Ball, Raoul Hausmann, Emmy Hennings, Hans Arp und anderen in Zürich begründet worden war, wollten Strukturen brechen. Sie wollten vermeintlich das Chaos verherrlichen, taten dies aber mit einem hintergründigen Witz. Ein Leitsatz oder ein Poem von Raoul Hausmann hiess:

¿..wer gegen Dada ist, ist Dadaist..?
¿..ist ein DADAist, der sich zu ernst nimmt DADAist..?

Da kann einem leicht schwindlig werden, beim Hin-und-her-Überlegen. Eben: am Rand des Chaos winkt oft das Augenzwinkern.


Schokoladenschiff "Sweet Titanic" Schiffbruch mit süßem Nachgeschmack

Selbst wenn Sie mit einer Rede oder einer Publikation Schiffbruch erleiden: nehmen Sie doch etwas Süßes daraus mit © Foto HWR

Wer jetzt in diesem Blog-Beitrag eine Anleitung gesucht hat, wie man aus dem Chaos in eine Struktur kommt, der hat – zumindest hier – Pech gehabt. Vielleicht hilft dann dazu die «Checklist», die ich parallel dazu entwickelt habe und die unten im Blog während 30 Tagen gratis zum Download zur Verfügung steht.

Ach ja, und manchmal hilft es,
auf Zufälle zu achten. Das Bild mit dem Wasserrädchen im Klusbach in Aesch BL ist ein solcher Zufall. Ich war vor etwa einem Jahr diesem kleinen Kunstwerk begegnet, hatte es fotografiert – und wollte wissen, wer das schöne Objekt hergestellt und montiert hatte. Dazu schickte ich das Bild an eine dortige Lokalzeitung, mit der Bitte, es zu veröffentlichen. Und tatsächlich, der «Erbauer» des Wasserrädchens meldete sich daraufhin.

Wasserrädli am Klusbach Aesch BL, ein vergängliches Kunstwerk

Ein eigens konstruiertes Wasserrädchen aus Weidenruten. Bild HWR / Konstrukteur T. Beierlein

Nun, das war fast ein Jahr her. Vor wenigen Tagen wurde ich, nicht weit von jenem Bach, von einem sympathischen Mann angesprochen, der mit seiner Familie beim Schlitteln war. Er hatte mich erkannt, da er im Internet recherchiert habe – es war jener Konstrukteur des Wasserrädchens. – Und ein Detail: am selben Tag hatte ich beim Aufräumen genau dieses Foto in der Hand – Ich hatte es vor etlichen Monaten, zusammen mit einem Gedicht, für eine Begleitkarte verwendet.

Dieser Zufall war eben der letzte Kick, dieses Blog-Thema aufzugreifen. Denn mit einem überraschenden Zufall, einer guten Idee und einem strukturierten Vorgehen kann vieles in Fluß kommen.


P.S:  Hier noch der Link zum Download der Checklist >
Checklist Struktur/Chaos von Helmut W. Rodenhausen

P.S.S. Versuchen Sie einmal als Übung, nur aufgrund der Bilder in diesem Blog ein Thema und eine Struktur für einen Vortrag zu skizzieren.

P.S.S.S. Und noch der Auszug eines Gedichts von einem jener Dadaisten aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts: Kurt Schwitters.

Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, – – – – wir!
Das gehört beiläufig in die – – – Glutenkiste.
Anna Blume, Anna, A – – – – N – – – – N – – – – A!
Ich träufle Deinen Namen.
Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.

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Kurt schwitters