17. Dezember 2019

Meine Fotosammlung auf dem iPhone wächst ins Unermessliche. Also gehörte es zum Jahresendprogramm, Ordnung zu schaffen und Löschbefehle zu aktivieren. Viele Bilder mit Steinen – rohen, behauenen, skulpturalen, gebrannten – tauchten auf. Das hat mit «Steineklopfen» und mit meiner «Gedichtebauhütte» zu tun (www.steineklopfen.ch).

Aber ebenso viele Bilder von Wäldern, Bäumen und Baumrinden galt es zu sortieren. Die, so merkte ich, hatten sich schon viel früher angesammelt, noch bevor sie durch das Buchprojekt «Holzkohle» hätten motiviert sein können.

Im Nachgang zum «Holzkohle»-Buch kam es noch zu einer äußerst anregenden Begegnung. In Winterthur, in der Siedlung Hard, referierte Conrad Amber über sein Buch «Bäume auf die Dächer – Wälder in die Stadt!». Vor seinem Vortrag am Abend gab es für uns am Nachmittag noch ausreichend Gelegenheit, sich auszutauschen.




Conrad Amber ist nicht einfach nur ein Freund von Bäumen, er weiss vor allem spezifische, wissenschaftliche Informationen über das Baumleben zu vermitteln.


Bäume und Wälder rücken im Zusammenhang mit CO2 und Klimawandel immer mehr in den Fokus. Da ist es umso wichtiger, dass man auch Fakten kennt. Eine 100-jährige Buche, so referierte Conrad Amber, hat rund 600 000 Blätter, die insgesamt eine Fläche von etwa 1500 Quadratmetern ergeben.

Der Photosynthese-Prozess, der sechs bis sieben Monate pro Jahr in Gang ist, bewirkt Erstaunliches: Pro Jahr absorbiert die Buche durch dieses Kraftwerk rund 6 Tonnen CO2. Ausserdem nimmt sie 1 Tonne Feinstaub auf. Im Gegenzug gibt sie 4,5 Tonnen Sauerstoff an die Umgebung ab. Ebenso pro Tag etwa 400 Liter Feuchtigkeit. Das alles macht die Buche, bei günstigen Bedingungen, mehr als 200 Jahre lang.




Keine Buche, sondern eine sehr alte Platane. Fotografiert von Conrad Amber in Winterthur.

Bei unserem Rundgang durchs Gelände in Winterthur stießen wir auf eine Platane. Ich, der bei Platanen immer diese verkrüppelten Knoten-Kronen vor Augen hatte, erkannte diesen Baum fast nicht. Diese Platane, ungeschnitten und frei wachsend, ist über 40 Meter hoch und mehr als 220 Jahre alt. Gepflanzt wurde sie als sogenannter Freiheitsbaum.

Wie in zahlreichen anderen Gemeinden der Schweiz hatten die Franzosen, als sie im Frühjahr 1798 gegen die alten Eidgenossen gesiegt hatten, Platanen als Friedensbäume gepflanzt. Nur noch wenige dieser geschichtsträchtigen Riesen mit über sechs Meter Stammumfang sind noch erhalten. Die meisten sind verdorrt, verfault oder neuen Strassenzügen und Gebäuden zum Opfer gefallen.



Eine dieser alten, immer wieder «skalpierten» Platanen, gehalten und gestützt von kräftigen Drahtseilen, damit die Äste nicht brechen. (Standort Rodersdorf).
 
Aus meiner I-Phone-Mediathek sind mir noch drei andere Fotos aufgefallen, die ich nicht löschen wollte. Zum Beispiel der Blick (oder ein Ausschnitt davon) aus meinem Bürofenster. Im Hintergrund ein riesiger Tulpenbaum, der in der Frühlingszeit immer wieder atemberaubende Blüten zum Leuchten bringt.

Atemberaubend ist ein völlig falscher Begriff in diesem Zusammenhang, bei all dem Sauerstoff, der auch hier produziert wird. – Der Tulpenbaum wird wohl noch blühen, wenn ich nicht mehr atme und meine Asche längst im Naturkreislauf eingebunden ist.




Sterbende, treibende und strotzende Bäume, vereint in einem kleinen Park. Im Hintergrund ein alter Tulpenbaum.

Ein anderer Baum, den ich sehr liebe, steht auf einem Waldstreifen in Nenzlingen. Er ist eine von etlichen gewaltigen Eichen in diesem Landstrich. Sie stand schon da, als weder ich, noch meine Eltern, noch meine Großeltern geboren waren. Und sie wird, wenn sie dem Klimawandel trotzen kann, noch weitere Jahrzehnte dort stehen.

Jede wissenschaftliche Entdeckung über Bäume gibt mir erneut ein gutes Gefühl: Dass Bäume untereinander kommunizieren, dass sie visuelle, auditive und sensorische Wahrnehmungen haben – oder dass sie mit anderen Pflanzen «soziale Kontakte» haben, die über eine symbiotische Lebensgemeinschaft hinausgehen.




Eine Rindenlandschaft, in der es viel zu entdecken gäbe – hätte man die Gabe des «Bäumeverstehens».

Ebenfalls in einen Extra-Ordner habe ich das Bild von einer Baumgruppe auf der Rigi geschoben. Nicht zuletzt, weil die Baum-Individuen, die hier beieinander stehen, unterschiedlicher nicht sein könnten.

Und wenn wir schon im Winter angelangt sind, füge ich noch ein Winterbild von Conrad Amber am Schluss hinzu. Mit der Überzeugung, dass wir Erstens in Zukunft noch viel lernen können von den Bäumen, dass wir Zweitens die Freundschaft der Bäume und der Wälder unbedingt brauchen und Drittens, dass wir ohne Bäume nicht überleben können – die Bäume ohne uns sicher schon – sie sind einfach beständiger. Und vielleicht auch irgendwie bescheidener ...




Sonnenuntergang auf der Rigi: Nadelbäume und Obstbäume. Am Nordhang in den steileren Flanken kann zudem noch dichter Wald begangen werden.




Ein Baum in Winterruhe, fotografiert von Conrad Amber (https://www.conradamber.com/)