10.04.2018

Vielleicht hat es mit dem Alter zu tun? Jedes Jahr scheint es länger zu dauern, bis es grünt, bis die Sonne genug Wärme abgibt, um in T-Shirts zu wandern. Der Ausflug an den Bodensee kam in dieser Hinsicht bedeutend zu früh. Stürmischer Regen, abrupte Temperaturwechsel, Wind und dann – Sonne. Die Sonne wiederum so intensiv, dass man den Magnolienblüten beim Aufplatzen zugucken könnte. Aber eben – könnte.



Beim Museum Reichenau trifft die Sonne ein grün bemoostes Gartenhausdach


Die Lust nach Grünem liess sich lediglich mit Bärlauchsuppe und grünen Spargeln halbwegs befriedigen. Bei den Wanderungen am Bodensee, auf der Halbinsel Höri, der Halbinsel Mettnau und der Insel Reichenau blieben intensive Grüntöne selten. Und die waren von Menschenhand geschaffen.

Wie zum Beispiel «Der schützende Seeigel» von Daniel Zanca. Seine Skulptur steht seit 2017 im Mettnaupark, unweit des Ruderclub-Hauses. Alle zwei Jahre organisiert die Stadt Radolfszell in diesem Park ein Bildhauersymposium.




Auf der Suche nach Grünem kommt es plötzlich knallig. Auch hier ist von Lebendigkeit noch nicht viel zu sehen.


Was tut man, in solch einer Warteschlaufe im Vorfrühling? Wenn es keine richtig grüne Natur gibt, greift man zur Fiktion. Ich hatte die einmalige Gelegenheit und viel Zeit, mich in ein geschenktes Buch zu vertiefen: «Zernetzt», von Anselm Rodenhausen.

Rodenhausen? – Es besteht keine Verwandtschaft, es spielten Zufälle mit: die Eltern jenes Anselm waren unsere Gastgeber in einer Ferienwohnung am Bodensee. Anselm Rodenhausens Erstling spielt mit der Vorstellung, dass die virtuelle Welt nicht mehr nur auf Bildschirme – Screens, Tablets usw. – beschränkt bleibt, sondern sich ständig ins Leben einmischt.




Ein «grünes Männchen», das sich als Seeigel verkleidet hat – oder umgekehrt? – Plastik von Daniel Zanca 2017


Die Protagonisten in «Zernetzt» sehen dank spezieller Technik immer und überall Symbole mit abrufbaren Nachrichten. Farbige Kugeln zumeist – auch grüne –, die über Menschen oder Objekten schweben und sich wie Ordner auf dem Computer öffnen und einsehen lassen.

Rodenhausen versteht es, seine Figuren lebendig werden zu lassen und glaubwürdig in logisch aufgebaute Handlungsstränge zu bringen. Wer das Genre der Science Fiction mag und einigermassen mithalten kann mit der geschilderten Virtualität, kommt ganz auf seine Kosten: Spannung, eine Liebesbeziehung und ein sehr überraschender Schluss.

Manch eine Leserin oder Leser wird an eigene Erlebnisse und Erfahrungen mit Unternehmensverantwortlichen, Konkurrenzdenken und Hierarchiestufen anknüpfen können. Und auch die Bezüge zu existenziellen und philosophischen Themen sind geschickt eingewoben. Also kurz, eine Lese-Empfehlung. Darum auch gleich ein Link: «ZERNETZT».




Nicht nur grüne Kugeln, auch blaue, silberne, goldene Kugeln und weitere digitale «Wirklichkeiten» beleben in diesem Buch den Echtzeitraum